Bochum: Kulturzentrum Bahnhof Langendreer sagt Ausstellung Guernica Gaza ab

Einmal mehr beugt sich mit dem Kulturzentrum Bahnhof Langendreer in Bochum eine kulturelle Einrichtung dem staatlichen Druck unter dem falschen Vorwurf des Antisemitismus, der erhoben wird, um den Staat Israel vom Vorwurf der Unterdrückung der Palästinenser und des Völkermords an ihnen freizusprechen.

Dies, obwohl der Krieg von Tag zu Tag grausam fortgesetzt und die Tatsache, dass dort ein Völkermord stattfindet, von internationalen Experten, dem Internationalen Gerichtshof und der UNO bestätigt wird. Mindestens 45.000 Tote, meist Frauen und Kinder, sind offiziell bestätigt, aber die Zahl dürfte viel höher liegen. Die USA, Deutschland, Großbritannien und viele andere liefern die Waffen dazu. Jeder, der sich dagegen auflehnt und es wagt, die Verantwortlichen anzuprangern, wird gnadenlos verfolgt.

Mohammed Al Hawajri, „Die Ruhepause der Erntearbeiter“ (Harvesters Resting), nach Jean François Millet (1850) [Photo by Mohammed Al Hawajri]

Am 6. September hätte im Bahnhof Langendreer eine Ausstellung des Collagenzyklus Guernica Gaza des palästinensischen Künstlers Mohammed Al Hawajri eröffnet werden sollen. Der Künstler lebt mit seiner Familie in Gaza und ist dem Bombenterror ausgesetzt. Einen Tag vor der geplanten Eröffnung wurde die Ausstellung durch den Veranstalter abgesagt.

Das Kulturzentrum verbindet seit 35 Jahren als soziokulturelles Zentrum Kultur mit gesellschaftspolitischen Inhalten: Filme, Aufführungen, Musikveranstaltungen, Ausstellungen und Diskussionen sind in der Regel gut besucht und ermöglichen vielfältige Anregungen und offene Auseinandersetzungen über politische und kulturelle Inhalte. Diesem Konzept entsprechend sollte der Bilderzyklus gezeigt werden und angesichts der aktuellen Lage in Gaza höchst aktuelle Diskussionen anregen.

Der Künstler Mohammed Al Hawajri, geboren 1976, lebt und arbeitet in Palästina, in Gaza, und ist Gründungsmitglied der Gruppe confluence of contemporary art (eltiqa group). Er arbeitet in einem breiten und wechselnden Spektrum von Medien – Malerei, Skulptur, Videokunst, Fotografie –, wobei seine Wahl häufig von so alltäglichen Dingen wie den Materialien bestimmt wird, die unter den restriktiven Bedingungen in Gaza gerade zur Verfügung stehen. Zurzeit dürfte es ihm sehr schwer fallen, seiner Kunst nachzugehen, denn sein Haus ist zerstört und er lebt wie der größte Teil der Gazabewohner in einem Zelt.

In den letzten Tagen vor der Eröffnung entfachten Politik und Medien eine bösartige Hetzkampagne mit den bekannten „Antisemitismus“-Vorwürfen gegen die Ausstellung. Sowohl dem Künstler, wie dem eingeladenen emeritierten Professor und Völkerrechtler Dr. Norman Paech als auch den Veranstaltern wurde eindeutiger „Antisemitismus“ vorgeworfen. Dabei ist der Bilderzyklus schon vor vielen Jahren entstanden und zeigt Situationen, die sich im Vergleich zu dem, was sich gegenwärtig in Gaza abspielt, fast idyllisch ausnehmen.

Allen voran fühlten sich die Bochumer Grünen, der Verband der jüdischen Studierenden in Bochum, der Bochumer Kulturdezernent und die regionale Presse herausgefordert, Künstler und Veranstalter mit der perfidesten Argumentation zu verleumden.

Daniel Gorin, kulturpolitischer Sprecher der Grünen im Rat der Stadt Bochum, erklärte: „Eines der Bilder setzt den verheerenden Bombenangriff der deutschen Luftwaffe auf die spanische Stadt Guernica im Jahr 1937 gleich mit der Reaktion des israelischen Staates auf die seit Jahrzehnten von der terroristischen Hamas aus dem Gazastreifen heraus verübten Anschläge. Diese Lesart der Ereignisse ist Teil von antiisraelischen und antisemitischen Diskursen. Wir wollen nicht, dass diese hier in Bochum befördert werden.“

Die Website Ruhrbarone zog ebenfalls massiv gegen die geplante Ausstellung zu Felde. Sie unterstellte dem Kulturzentrum, es habe sich als „Anlaufstelle für Antisemiten“ angedient, „indem es Bilder ausstellt, deren künstlerische Qualität auf Nullniveau liegt und deren politischer Gehalt auf dem des Der Stürmer“. Der Vergleich mit dem berüchtigten Naziblatt trifft aber eher auf die Ruhrbarone selbst und ihre bösartig beleidigende, verzerrte „Berichterstattung“ zu.

Aus den Reihen der SPD und FDP in Bochum kamen scharfe Forderungen nach Kürzung der staatlichen Mittel für den Bahnhof, wenn er die Ausstellung nicht absage. Eine Drohung, die sich der Bochumer Kulturdezernent offenbar zu eigen machte.

Von der Stadt wurde dem beliebten Kulturzentrum, einem der ältesten in Nordrhein-Westfalen, denn auch mit dem Entzug der Förderung gedroht. So heißt es in einer Presseerklärung der Stadt: „Die Stadt Bochum prüft nun, wie die Förderbedingungen so angepasst werden können, dass konkrete Förderziele und benannte Projekte gegen Antisemitismus, Rassismus, Queerfeindlichkeit, Homophobie oder weitere Formen von Diskriminierung vorgegeben werden.“

Die Stadt folgt darin dem Berliner Kultursenator Joe Chialo, der versucht, dem Kulturzentrum Oyoun den Geldhahn zuzudrehen, es aus seinen Räumen zu vertreiben und ebenfalls eine Zensurklausel für Kunst und Künstler einzuführen.

Damit liegt die Stadt Bochum auch im Trend der Unions- und Ampelparteien, die zurzeit an einer gemeinsamen Erklärung feilen, über die Zeit-online meldete, sie enthalte neben Solidaritätsbekundungen „auch Formulierungen, die die deutsche Kultur- und Wissenschaftsförderung massiv betreffen – ja sie symbolisch unter Kuratel stellen könnten“. Es drohe „eine flächendeckende Überprüfung von Künstlerinnen und Forschenden, die sich um öffentliche Förderung bewerben, durch das Bundesamt für Verfassungsschutz“. Womit das Ende der im Grundgesetz garantierten Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit besiegelt wäre.

Unter diesem massiven Druck sagte das Team des Bahnhof Langendreer die Ausstellung ab. Die Begründung lautet, Guernica-Gaza werde nicht gezeigt, weil die öffentliche Diskussion um die Schau nicht mehr dem eigentlichen Ziel diene, „Diskursräume zum Thema Nahostkonflikt zu öffnen“, wie es in der Ankündigung der Ausstellung geheißen hatte. Es sei vielmehr zu befürchten, dass eine Durchführung der Ausstellung zur Verhärtung der Positionen beitragen werde.

Zudem hätten Sicherheitsbedenken im Falle einer Präsentation der Kunstwerke bestanden. Über die Art der „Sicherheitsbedenken“ äußerten sich die Veranstalter nicht näher.

In der Presseerklärung heißt es weiter: „Wir halten die Vorwürfe für vollkommen falsch.“ Die Bilder, die Prof. Dr. Norman Paech nach ihrer Ausstellung auf der Documenta15 erworben habe, seien zwar „israelkritisch, aber nicht antisemitisch.“

Sie seien bereits in der Mai-Galerie in Berlin und in der Buch-Oase in Kassel einem großen Publikum gezeigt worden. „Die dort zahlreich geführten öffentlichen Diskussionen haben die Vorwürfe niemals bestätigt.“ Sie hätten im Gegenteil zur „beabsichtigten Diskussion über die Rolle der Kunst zur Bewusstseinsbildung einer Gesellschaft geführt, ‚dass Kunst Fragen aufwirft und die Tür zum Dialog zwischen Völkern unterschiedlicher Kulturen öffnet‘ (M. Al Hawajri)“.

Die Bilder Al Hawajris waren 2022 im Rahmen der Documenta15 gezeigt worden und hatten schon vor deren Eröffnung als Vorwand gedient, der gesamten Ausstellung das Etikett des Antisemitismus anzuheften. Die Hetzkampagne erstreckte sich vom Eröffnungsvortrag des Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier über den ganzen Zeitraum der Ausstellung hinweg und geht in Teilen bis heute weiter. Steinmeier hatte sich nur widerwillig nach Kassel begeben.

Die Kritiker der Ausstellung in Bochum bezogen sich in der Regel auf den Abschlussbericht, den ein Fachgremium nach Abschluss der Documenta erstellt hatte.

Bei dem Zyklus Guernica Gaza handelt es sich um Collagen, die Bilder von klassischen Künstlern mit Angriffen der israelischen Streitkräfte auf das Palästinensergebiet kombinieren. Al Hawajri verfremdet Bilder solcher Angriffe mit klassischen Motiven aus Gemälden von Millet, Delacroix, Chagall, van Gogh oder Picasso.

Der Titel des Zyklus erinnert an Pablo Picassos Gemälde Guernica von 1937. Al Hawajri spielt mit der entsprechenden Collage auf das Kappen der Stromversorgung für Gaza an und damit auf die ständige Drohung der israelischen Regierung, die Enklave von lebenswichtigen Versorgungsleitungen abzuschneiden.

Dass Al Hawajri die Zerstörung der spanischen Stadt Guernica durch einen Luftangriff der deutschen „Legion Condor“ mit den Luftangriffen der israelischen Armee auf Gaza vergleicht, wurde und wird bis heute als illegitim angeprangert.

Im Abschlussbericht zur Documenta 15 heißt es dazu, bezogen auf das Ereignis setze das Werk die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte mit den Nazi-Truppen gleich, die in Guernica überwiegend Frauen und Kinder bombardiert und ein Drittel der wehrlosen Bevölkerung getötet oder verwundet hätten. „In diesem Fall kann Guernica Gaza als antisemitisches Werk gelten.“

Beziehe man den Titel dagegen auf Picassos ikonisches Werk „als einer verallgemeinerten Stellungnahme gegen den Krieg“, dann nähmen „durchschnittliche Betrachter*innen ihn nicht unbedingt als antisemitisch wahr“. Doch selbst in diesem Fall sei der Guernica-Gaza-Vergleich durch die Tatsache diskreditiert, dass Gaza nicht „unbewaffnet“ sei. Weil es in Gaza „nicht ausschließlich wehrlose Zivilisten und Zivilistinnen“ gebe, sondern mit der Hamas „eine hochgerüstete Terrororganisation“, sei der Vergleich mit Guernica nicht gerechtfertigt, also eindeutig antisemitisch.

Im Licht des gegenwärtigen Vernichtungskriegs und Völkermords, bei dem Gaza dem Erdboden gleichgemacht, ausgehungert und die Zivilbevölkerung immer wieder aus ihren provisorischen Zelten in angeblich „geschützten“ Gebieten bombardiert und vertrieben wird, ist eine solche Argumentation geradezu absurd und menschenverachtend.

Der Vergleich ist eher eine Untertreibung. Die Bombardierung von Guernica am 26. April 1937 war zweifellos ein grausames Kriegsverbrechen. Allerdings dauerte sie nur einen Tag, während die Zivilbevölkerung in Gaza seit fast einem Jahr täglich bombardiert, ausgehungert und von der Versorgung abgeschnitten wird.

Die Brutalität der Wirklichkeit geht weit über die in den Bildern Al Hawajris dargestellten Szenen hinaus, und es wäre mehr als angemessen gewesen, die Bilder zu zeigen. Eine offene Diskussion darüber hätte unbedingt stattfinden müssen.

Norman Paech, der Kontakt mit dem Künstler hatte, erklärt in einem Interview mit der Jungen Welt: „Die Bilder zeigen aber auch, dass Gaza, obwohl schon 2020 von der UNO für unbewohnbar erklärt, nicht nur ein Ort des Elends und der Hilflosigkeit, sondern des Widerstandes und des kreativen Lebens gewesen ist. Jetzt ist es Schutt und Asche – der Künstler hat mit seiner Familie fliehen können, er ist jetzt in Rafah. Haus, Atelier und Kunstwerke sind zerstört.“ Unter diesen Bedingungen wird er kaum neue Kunstwerke schaffen können.

Die Frage der Verteidigung von Kunst und Meinungsfreiheit wird zu einer immer dringenderen Aufgabe nicht nur der Kunstschaffenden, Autoren und Journalisten, sondern der gesamten Arbeiterklasse. Sie müssen gemeinsam die Verantwortung wahrnehmen, demokratische Rechte zu verteidigen.

Auch unter den Nazis begann die Unterdrückung noch vor ihrer Machtübernahme mit heftigen Angriffen auf Schriftsteller, Künstler und Theaterschaffende. Unmittelbar danach wurden alle Arbeiterorganisationen und demokratischen Einrichtungen zerschlagen, „gleichgeschaltet“ und auf Kriegsertüchtigung ausgerichtet.

Die Kampagne der Politiker und Medien gegen „Antisemitismus“ ist zudem mehr als heuchlerisch. Es ist geradezu grotesk, wenn sie sich brüsten, den „Antisemitismus“ zu bekämpfen. Dieselben Politiker arbeiten in der Ukraine mit ausgesprochen rechten, profaschistischen Kräften zusammen, die den Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera und die antisemitische Mordorganisation OUN als Helden lobpreisen, ja sogar den Holocaust verharmlosen.

Und tagaus, tagein trommeln dieselben Politiker für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine, obwohl es erwiesenermaßen in der ukrainischen Armee von faschistischen Elementen und rechten Söldnern aus dem Ausland wimmelt. Jetzt geht es um Langstreckenraketenangriffe auf Russland, die einen Atomkrieg auslösen könnten.

Außerdem wird die Meinungsfreiheit, die allenthalben als Grundgerüst der Demokratie beschworen wird, in dem Moment außer Kraft gesetzt, wenn sich die Opposition gegen ein Regime wie das israelische richtet, das der deutsche Imperialismus unterstützt. In diesem wird jedes Kriegsverbrechen als Akt der Selbstverteidigung gerechtfertigt. Die nicht abreißende Verleumdungskampagne gegen jeden, der die Palästinenser verteidigt, entwickelt sich immer mehr zur staatlicher Zensur und zur Unterdrückung von Presse-, Kunst- und Meinungsfreiheit.

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