Nach dem Wahlerfolg der AfD: SPD und Union verschärfen Flüchtlingshetze

Vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen bahnten die etablierten Parteien der AfD den Weg, indem sie sie bei ihrem Kernthema, der Hetze gegen Flüchtlinge und Migranten, rechts überholten. Nach dem Wahlerfolg der rechtsextremen Partei beschleunigen sie diesen Kurs. Ein führender Politiker nach dem anderen behauptet, die AfD habe Erfolg gehabt, weil man selbst nicht hart genug auf Flüchtlinge eingedroschen habe.

Bundesfinanzminister Christian Lindner, dessen FDP in beiden Wahlen eliminiert wurde, verkündete auf allen sozialen Netzwerken: „Keine Denkverbote in der Asyl- und Einwanderungspolitik! Das ist meine Lehre aus der Wahl in Sachsen und Thüringen. Die Leute haben gefühlt, dass die Demokratie, das politische System ihre Probleme nicht löst, und ein Problem, das ganz oben steht, ist die Kontrolle der Einwanderung nach Deutschland.“

CDU-Chef Friedrich Merz will "nationalen Notstand" ausrufen [Photo by Michael Lucan / wikimedia / CC BY-SA 3.0]

CDU-Chef Friedrich Merz verlangte die Ausrufung eines „nationalen Notstands“, um EU-Recht außer Kraft zu setzen und sämtliche Flüchtlinge an der deutschen Grenze abzuweisen, ohne ihnen zu erlauben, einen Asylantrag zu stellen. „Die Ordnung unseres Landes ist gefährdet“, verkündete Merz. „Wir müssen das Recht haben zum Zurückweisen.“

CSU-Chef Markus Söder forderte, das Asylrecht weitgehend aus der Verfassung zu streichen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) brüstete sich, seine Regierung habe die Migrationspolitik bereits drastisch verschärft und zwei Tage vor den Wahlen den ersten Abschiebeflug nach Afghanistan durchgeführt, wo die Taliban herrschen. „Wir haben das geschafft“, prahlte er. Das sei ein „Zeichen dafür, dass wir an unseren Versprechungen arbeiten“. Wenn es „supergut“ laufe, werde man sich mit der Union auf weitere Maßnahmen verständigen.

Am Dienstag fand im Bundesinnenministerium ein Migrationsgipfel statt, um, so Innenministerin Nancy Faeser (SPD), über „ein hartes Handeln im Zurückdrängen irregulärer Migration“ zu beraten. Neben Vertretern von Bund und Ländern nahmen daran auch Parteivertreter von CDU und CSU teil. Die Gespräche seien offen und konstruktiv verlaufen, teilte Faeser hinterher mit. Nun werde man bestimmte Punkte, die vertraulich besprochen wurden, rechtlich überprüfen und anschließend weiter beraten.

Dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) geht das alles nicht weit genug. Es drohe „ein Scheingipfel, der die Flüchtlingszahlen nicht reduzieren wird,“ sagte Wagenknecht der Welt. „Statt Pseudolösungen braucht es das politische Ende der unkontrollierten Migration.“ Flüchtlingen, die aus „sicheren Drittstaaten“ einreisen, und abgelehnten Asylbewerbern müssten sämtliche Unterhaltsleistungen gestrichen werden.

Die Behauptung, die AfD gewinne an Einfluss, weil die Regierung nicht rigoros genug gegen Flüchtlinge vorgehe, ist eine dreiste Lüge. Das Gegenteil ist wahr. Es ist offensichtlich, dass die Rund-um-die-Uhr-Propaganda über „kriminelle Flüchtlinge“, „illegale Ausländer“, rigorose Grenzkontrollen, Massenabschiebungen und einen „starken Staat“ die AfD nicht schwächt, sondern stärkt. Und das ist auch gewollt.

Auch die Behauptung, man habe nichts gegen Flüchtlinge, aber die Kommunen seien durch die große Zahl „überfordert“, ist falsch. Die Kommunen sind deshalb „überfordert“, weil die Bundesregierung ihnen und den Ländern systematisch die Gelder streicht, die für eine humane Versorgung und Integration der Flüchtlinge erforderlich wären, und sie in die Aufrüstung und die Unterstützung von Kriegen steckt.

Allein den Krieg in der Ukraine hat die Bundesregierung bisher laut eigenen Angaben mit 34 Milliarden Euro unterstützt. Hinzu kommen 72 Milliarden Euro, die in diesem Jahr für die Aufrüstung der Bundeswehr ausgegeben werden, um Deutschland wieder „kriegstüchtig“ zu machen. Diese Gelder fehlen bei der Bildung, der Gesundheitsversorgung, den Sozialausgaben, dem Bau bezahlbarer Wohnungen und dem Umweltschutz.

Die Bundesregierung verfolgt mit dem Ukrainekrieg imperialistische Ziele: die wirtschaftliche Kontrolle über die Ukraine und die Unterwerfung Russlands mit seinen gewaltigen Bodenschätzen. Deshalb will sie einen Waffenstillstand um jeden Preis verhindern. Dafür nimmt sie eine gewaltige soziale Katastrophe in Kauf. Fast die Hälfte der Flüchtlinge, die derzeit in Deutschland leben – 1,2 von 2,6 Millionen – sind vor diesem Krieg geflohen.

SPD, CDU, BSW und alle anderen Parteien hetzen nicht gegen Flüchtlinge, um die AfD zu schwächen, sondern um sie zu stärken und ihrer rechten, faschistischen Politik zum Durchbruch zu verhelfen. Sie stempeln Flüchtlinge zum Sündenbock für die soziale Krise, um die Arbeiterklasse zu spalten und einen Polizeistaat aufzubauen.

Eigentliches Ziel dieser reaktionären Kampagne sind die demokratischen Rechte und sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse und der Jugend. Das Schüren einer Pogromstimmung gegen Migranten und der Aufbau eines Polizeistaats, dessen Überwachungs- und Kontrollbefugnisse ständig ausgeweitet werden, dienen dazu, das gesellschaftliche Klima zu vergiften und den Widerstand gegen Massenentlassungen, sinkende Reallöhne und Sozialabbau sowie die Opposition gegen Militarismus und Krieg zu unterdrücken.

Krieg, Aufrüstung und massive soziale Ungleichheit vertragen sich nicht mit Demokratie. Sie erfordern – wie 1933, als Reichspräsident Hindenburg Hitler zum Kanzler ernannte – die Errichtung einer Diktatur.

Der Angriff auf Migranten dient der herrschenden Klasse in allen imperialistischen Ländern als Hebel, um die offizielle Politik nach rechts zu verschieben. In den USA haben Donald Trump und die Republikaner eine einwanderungsfeindliche Kampagne gestartet, um sich auch im Fall einer Wahlniederlage die Herrschaft zu sichern. Sie behaupten, aufgrund der angeblichen „Politik der offenen Grenzen“ von Präsident Biden und Kamala Harris würden Millionen „illegale Ausländer“ und „Nicht-Bürger“ mit abstimmen. Die Demokraten treten dieser Kampagne nicht entgegen, sondern verschärfen selbst die Angriffe auf Flüchtlinge.

Man kann die gegenwärtige Flüchtlingshysterie in Deutschland nur vor dem Hintergrund des Arbeitsplatzmassakers verstehen, das sich anbahnt. Die Krise bei VW, wo der Vorstand erstmals ganze Werke schließen und Massenentlassungen nicht mehr durch den Verzicht auf „betriebsbedingte Kündigungen“ abfedern will, ist nur die Spitze des Eisbergs.

Die Financial Times berichtete am Donnerstag unter der Überschrift „Deutschland steht vor einer Beschäftigungskrise ‚der tausend Kürzungen‘“, dass hunderttausende gutbezahlte Arbeitsplätze auf der Kippe stehen. In der Autoindustrie mit ihren 780.000 Beschäftigten, aber auch in der Chemieindustrie mit 480.000 Beschäftigten sowie in vielen anderen Bereichen ist kaum ein Arbeitsplatz sicher.

Bisher hatten sich die Konzerne stets auf die Gewerkschaften gestützt, um Arbeitsplätze und Löhne abzubauen, ohne dass es zu größerem Widerstand kam. Doch nun fürchten sie, dass den gutbezahlten Funktionären die Kontrolle entgleitet. Deshalb setzen sie verstärkt auf Diktatur und Faschismus.

Der Kampf gegen Entlassungen, Krieg und Faschismus erfordert den Bruch mit allen etablierten Parteien und eine neue politische Perspektive. Wie die Sozialistische Gleichheitspartei in der Erklärung „Verteidigt Flüchtlinge und demokratische Rechte!“ schrieb, ist dazu ein sozialistisches Programm nötig, das die sozialen und demokratischen Interessen aller Arbeiter verteidigt:

Aus Deutschland stammende und eingewanderte Arbeiter sind keine Rivalen um knappe Wohnungen, Arbeitsplätze und Einkommen. Sie müssen sich zusammenschließen, um die jahrzehntelange Umverteilung, die Milliarden in den Händen einiger Dutzend Individuen konzentriert hat, rückgängig zu machen. Die gewaltigen Summen, die in Krieg, Aufrüstung, Subventionen für Banken und Konzerne und die Steigerung der Aktienkurse fließen, müssen eingesetzt werden, um Bildung, Gesundheitsversorgung, Klimaschutz, sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze und bezahlbare Wohnungen zu finanzieren.

Für diese Perspektive kämpfen die SGP und ihre internationalen Schwesterorganisationen im Internationalen Komitee der Vierten Internationale.

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